Aufgehört habe ich mit der Idee, die Stellung der Frau in der muslimischen Kultur generell zu beleuchten. Schon bei der Formulierung dieser Idee wurde es mir im letzten Blogeintrag flau im Magen. Das Themengebiet ist für mich im Moment unüberschaubar, und da ich es nicht schaffe, eine geeignete Leitfrage zu finden, die mich dann sicher durch die Gewässer eines massiven Gebietes schippert, muss ich mir eingestehen, dass ich in einer Sackgasse gelandet bin. Aus dieser gilt es jetzt rauszufinden. Durch einen wohlwollenden Denkanstoß einer anonymen, jedoch renommierten Quelle, bin ich dabei meinen Roten Faden mit der Lupe aufzuspüren, und in meine Denkprozesse einzuweben.
Ein Rückgriff auf das Ende des dritten Eintrags ist vonnöten. In diesem geht es darum, dass sich sowohl der Besucher eines fremden Landes, als auch der Einheimische sich an gewisse, mit seiner eigenen Moralvorstellung übereinstimmende Normen, halten sollte, um der anderen Partei Respekt entgegenzubringen. Hier eröffnet sich, wenn man sich darauf einlässt, ein zwar weites, und noch dazu sehr interessantes und nobles Themengebiet: der R-E-S-P-E-K-T. Dieser Begriff klingt jetzt erstmal sehr generell und ist sicherlich vielen Sachverhalten und Vorgängen inhärent. Deshalb habe ich vor, mich dem Thema des Respekts auf eine differentierte Art und Weise zu nähern, und es von verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, um es am Ende als unverzichtbaren Bestandteil eines jeden Lebens aufzeigen. Respekt ist gewissermaßen sowohl in Momenten, in denen man als Akteur agiert, als auch in Momenten, in denen man Patient ist eine unerlässliche Voraussetzung für ein so autonom wie möglich und in Würde geführtes Leben.
Im etymologischen Wörterbuch findet man als Suchender unter dem Eintrag „Respekt“ folgende Worte: „ sm std. (17. Jd.). Entlehnt aus franz. respect, dieses aus l. respectus „Rücksicht, Zurückblicken“, dem Abstraktum von l. respicere (respectum) „Rücksicht nehmen, sich nach etwas umsehen, zurrücksehen“ , zu l. specere „sehen“ [...]“ 1
Dieses ehren- und wertvolle Wort wurzelt also im Lateinischen und bezieht sich auf die tugendvolle „Rücksichtnahme“ . Man nimmt auf jemanden/etwas Rücksicht. In zwischenmenschlichen Beziehungen wird, um sich dem anderen gegenüber respektvoll zu verhalten, egoistisches und verletzendes Verhalten ausgeschlossen. Wenn jemand respektvoll handelt, verletzt er weder psychisch noch physisch die Würde, die Moralvorstellungen, die Pläne, Wünsche, Bedürfnisse eines Menschen, noch die Person als solche. Der Begriff des Respekts setzt außerdem ein tolerantes Verhalten gegenüber dem jeweiligen Interaktionspartner voraus. Zu diesem kann die zwischenmenschliche Verbindung unterschiedlichster Natur sein. Der Interaktionspartner kann eine beliebige Person, mit der man in Kontakt tritt, eine Personengruppe oder eine sehr vertraue Person aus Freundes- oder Familienkreis sein.
Der Diplompsychloge Hardwig Hansen sagt in einem Interview mit Susie Reinhardt für die Zeitschrift „Psychologie Heute“ vom September 2008, dass Respekt in gewisser Weise eine Art ist, verlässlich und aufrichtig auf Handlungen von Mitmenschen zu antworten. Man reagiert, indem man dem Gegenüber durch eine verbindliche Antwort signalisiert, dass man seine jeweilige Handlung zur Kenntnis genommen hat. Man agiert daraufhin unter Rücksichtnahme, und signalisiert damit, dass man für ihn und seine jeweilige Situation mitgedacht hat. Als Beispiel nennt Hansen hier das Einparken. Indem ich abbremse, wenn ich sehe, dass jemand vor mir in die Parklücke einparken möchte, denke ich für den anderen mit. Weil ich etwas in die Beziehung zwischen mit und dem Einparkenden investiert habe, erwarte ich, dass er auf meine Handlung reagiert, und mir durch eine dankende Rückmeldung antwortet. Somit respektiere ich ihn, da ich mitgedacht habe, und er mich, da er mein Handeln schätzt. Hansen sieht außerdem eine enge Verknüpfung zwischen dem Begriff der „Verantwortung“, und dem Respekt. „Verantwortung“ bedeutet für Hansen hier unter anderem, dass man bereit dazu ist, dem anderen zu antworten, verbunden mit der Erwartung, dass der andere auch eine Rückmeldung gibt. 2 Es herrscht ein sich gegenseitig Respekt entgegenbringendes Verhältnis, indem der eine Partner vom anderen Verantwortung übertragen bekommt, auf dessen Wahrung er eine ehrliche und positive Antwort erwartet und bekommt. Andererseits könnte der Zusammenhang von Verantwortung und Respekt auch bedeuten, dass die zwei Interaktionspartner sich gegenseitig Verantwortung entgegenbringen, die sie dann beide mit freundschaftlicher Rücksichtnahme und beschützendem Ehrgeiz füllen. In beiden Fällen wird auf eine respektvolle Antwort dankend und wertschätzend geantwortet. So wird der Respekt neben der Verantwortung zu einer unentbehrlichen Komponente funktionierender und positiver zwischenmenschlicher Beziehungen und generell essentiell für das Zusammenleben.
1 Friedrich Kluge, Etymlogisches Wörterbuch, Berlin/Boston, 2011, S. 762.
2 Psychologie Heute, September 2008, S. 27-29.
quierecafe - 13. Dez, 18:53
Eine respektvolle Begegnung zwischen dem Touristen und dem Einheimischen. Was nun, wenn jedoch der Tourist eine Touristin ist, und sich anders verhält, sich anders kleidet und andere Dinge ausstrahlt als die vor Ort lebenden Damen? Ich weiß, Istanbul ist nicht das beste Beispiel. Da gibt es natürlich sehr viele Frauen, die sich nicht verschleiern, ein selbstbestimmtes Leben führen und ihren selbstgewählten Jobs nachgehen. Es ist sowieso unglaublich engstirnig und naiv die Traditionen des Islam zu pauschalisieren und dann überall auf der subjektiven, jedem Hirn inhärenten Karte, anzusiedeln, wo ein Teil der Gesellschaft muslimisch ist. Allerdings bietet Istanbul eine gute Grundlage für meine Überlegungen, denn dort habe ich selbst und am eigenen Körper gespürt, wie es ist, wenn verschiedene Kulturen und Religionen aufeinanderstoßen.
Die Männer dort begegnen den Touristinnen entweder mit unverhohlenem Interesse, indem sie uns verbal oder mit offensichtlich anzüglichen Blicken anmachen. Oder sie billigen den in ihren Augen freizügigen und kulturfremden Auftritt überhaupt nicht. Das merkt man dann vor allem daran, dass sie die Touristinnen voller Abneigung oder eben mutwillig ignorieren. Diese Blicke und dieses "Behandelt werden" werden natürlich andererseits durch uns Touristinnen subjektiv gedeutet. Es kann nämlich durchaus sein, dass wir in Gesten und Mimiken Bedeutungen hineininterpretieren, die gar nichts mit der Ursprünglichen Absicht zu tun haben. Genau diese, vielleicht reflexartige Entscheidung, wie, in diesem Fall türkische Männer den Touristinnen gegenübertreten, und wie im Umkehrschluss die Touristinnen auf diese reagieren, können eine Flut von Missverständnissen auslösen, durch die beide Seiten verschiedene normative Respektvorstellungen als missachtet betrachten. Beide Parteien- Touristen und Einheimische müssen sich entscheiden, wie sie den kulturellen Unterschieden, auf die sie auf ihrem Weg treffen, gegenübertreten.
Die Frau hat in der muslimischen Welt jedenfalls eine divergente Rolle und Stellung als die Frau in der westlichen Welt.
Auf diese möchte ich nun etwas näher eingehen. Wie werden diese, in der muslimischen Welt beheimateten Frauen, behandelt? Von den Männern, der Gesellschaft, der Regierung? Ich denke, diese ist eine sehr komplexe Fragestellung, auf die ich nur fragmentarisch eingehen kann. Meine Idee ist, als erstes die Situation der Frau in Saudi-Arabien bruchstückhaft und anhand von Beispielen anzureißen, und mich so dem Thema der generellen sozialen Stellung der Frau in der Islamischen Welt anzunähern.
Das Thema der Frau in Saudi-Arabien kam mir in den Sinn, als ich beim Lesen des Zeit-Magazins auf ein Interview mit Olivia Arthur, einer Journalistin aus London gestoßen bin. Sie fotografierte Frauen in Saudi-Arabien, vor allem auch in privaten Szenerien, und musste ihnen versprechen, ihre Gesichter im Nachhinein unkenntlich zu machen. Sie haben Angst, dass die Bilder, auf denen sie unverschleiert und in allzu intimen Situationen dargestellt sind, an die Öffentlichkeit gelangen. Unter Umständen würden ihnen gesellschaftliche oder strafrechtliche Sanktionen drohen. Olivia Arthur spricht außerdem über ihr persönliches Bild der saudi-arabischen Frau. Der Artikel hat mich sehr beschäftigt, denn mir war nicht bewusst, wie paradox die beiden Welten sind, in denen sich die saudischen Frauen bewegen. Sie haben einerseits ihr öffentliches Leben, in dem sie dem Gesetz nach verhüllt sein müssen, nicht reisen und arbeiten dürfen, und kaum die Chance haben sich von ihren Ehepartnern scheiden zu lassen. In dieser Welt sind ihre Männer für sie verantwortlich; nichts dürfen sie tun, ohne einen für sie verantwortlichen Mann an ihrer Seite. Die andere Welt, die sich krass von dieser unterscheidet, ist ihre private Welt, nur unter Frauen, hinter den vier Wänden. Sie verschleiern sich nicht, tragen kurze Röcke, gehen auf Partys und haben Affären. Jedoch passiert dies alles mit Ausschluss des öffentlichen Blickes. Die Fotografin hat den Eindruck, dass all dies nicht aus religiösen Gründen, sondern aus gesellschaftlichen Prestige-Gründen geschieht. Es sei wichtig, was die Nachbarn über die Frauen denken, nicht ob die religiösen Vorschriften befolgt würden. Eine Ambivalenz findet man nicht nur in den verschiedenen Welten der Frauen, sondern auch unter den Frauen selbst. Es gibt einige, die ihre determinierte Situation akzeptieren, und es gibt den anderen Teil unter ihnen, der sich diskriminiert fühlt. (Wie ich finde zu Recht). 1
Hier der Link zur Homepage von Olivia Arthur, auf der auch einige Fotos aus dem Interview im Zeit-Magazin abgebildet sind.
http://www.oliviaarthur.com/
Ich denke, dass vor allem durch die Medien, und die Globalisierung die Zahl der Frauen steigt, die sich ungerecht behandelt und diskriminiert fühlen. Sie sehen Touristinnen, denen es zum Teil erlaubt ist unverschleiert auf Saudi-Arabiens Straßen umherzulaufen, und werden so zum Denken angestoßen. Sie sehen türkische Soaps, in denen die Frauen wohl ein freizügigeres Leben führen können als in ihrem Land und beginnen ihr Leben mit deren Leben zu vergleichen. Sie werden mit anderen Bildkonzepten konfrontiert. Im Westen wird viel gezeigt, in Saudi- Arabien alles verhüllt. Wie verschieden die Saudi- Arabischen Bildkonzepte von den westlichen sind, kann man auch gut anhand des Ikea Werbekatalogs betrachten: Hierzu möchte ich den Link zu einem Spiegel-Online Artikel vom 01.10.2012 anführen:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ikea-zensiert-frauenbilder-in-katalog-fuer-saudi-arabien-a-858929.html
Die europäische Frau auf dem Katalogcover wird in Saudi-Arabien, da sie nicht verhüllt ist, einfach rausgeschnitten und gelöscht. Somit bekommen die Menschen dort nur die "zensierte" Ausgabe des Werbekatalogs zu sehen.
1 Jana Simon, Zeitmagazin Nr. 27, 28.06.2012, S. 33.
quierecafe - 28. Nov, 15:56
Freddy und ich schauen uns an. Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, ihr passiert das selbe, das sehe ich ihr an. Oder war das Gefühl die ganze Zeit schon da? Um uns verfallene Häuser, Gitter vor den Fenstern, davor Leinen mit Wäsche drauf. Und wir zwischen allem. Zwei deutsche Touristinnen auf Entdeckungstour. Neugierige junge Frauen, denen man ansieht, dass sie keine große finanzielle Probleme haben. Um uns herum unterbrechen die Kinder ihr Ballspiel, schauen uns an. Reden und lachen. Über uns? Wir verstehen sie nicht, dennoch, oder vielleicht genau deshalb schäme ich mich ein wenig. Ich schäme mich, weil wir aufgrund unserer Kleider, diversen technischen Geräten in unseren Taschen und unserem Auftreten offensichtliche Fremdkörper sind. Wir kommen aus einer ihnen fremden Welt, in der wir andere Riten und Werte haben, und wir gehören einer anderen Religion an. Ich fühle mich in dieser mir so fremden Umgebung deplatziert. Wir sind Fremdkörper, die kein Recht haben, unbedarft umherzuschleichen und voyeuristische Blicke auf farblos bekleidete Menschen, Anhänger einer uns fremden Kultur zu werfen.
Dennoch befolgen wir mutig unseren ursprünglichen Plan. Wir lassen uns weiter durch die Straßen treiben und verlieren uns immer tiefer im Gassengewirr. Den Stadtplan holen wir natürlich nicht raus, obwohl wir sowieso aus 50 Metern Entfernung als Touristen erkannt werden. Wir folgen einer Straße, überwältigt von einem verwesten Geruch, der uns plötzlich in die Nase steigt. Beim Umherblicken, spähen wir verhalten aber neugierig durch die geöffneten Ladentüren der Metzgereien, die es hier wie Sand am Meer gibt. Eine reiht sich neben die andere. In großen Glasvitrinen liegen, sorgfältig aufgebahrt: gehäutete Schafsköpfe. Ein paar Meter vor den Vitrinen befinden sich große weiße Säcke, bis oben hin voll mit diversen Tierbestandteilen: Fette, Felle, Schwänze. Mir wird übel. Ich zerre Freddy weiter. Zügig schreiten wir voran, bis wir direkt vor uns eine relativ große Menschentraube wahrnehmen. Alle sind dunkel, fast schwarz gekleidet. Wir werden beäugt. Permanent und immer wieder aufs Neue. Ich zerre Freddy am Ärmel und flüstere: „Sag, wo sind eigentlich die ganzen Frauen, ich sehe nur Männer.“ Freddy wirft mir einen Panik unterdrückenden Blick zu. Wir marschieren weiter. Es ist heller Tag, wir stellen uns an wie zwei kleine Kinder, sehen in jedem Mann einen potentiellen Feind. Die Umgebung ist uns nicht geheuer. Wenn man sich nicht wohlfühlt, hat das Kopfkino freien lauf, erfindet seine eigenen Gruselgeschichten. Glücklicherweise finden wir aus dem Labyrinth der vielen kleinen Gassen, überqueren eine gut befahrene Straße, und finden uns auf bekanntem Boden wieder. Die Straße, die zum Basar führt, rechts und links voll mit Obst- und Gemüseständen. Uns geht es besser, wir lockern unseren uns gegenseitig umklammernden Griff. Wir kaufen Erdbeeren, werden dabei vom Verkäufer mit eindringlichen und aufreizenden Blicken überhäuft. Im Basarviertel gibt es sie wieder an jeder Ecke: die Frauen. Doch je mehr man sich in Istanbul an abgelegenere, ärmlichere oder auf den Verkauf bestimmter Dinge spezialisierte Ecken der Stadt begibt, desto mehr verschwinden sie im Hintergrund, in den Dunklen Ecken der Häuser.
Abends resümieren wir unseren Tag: Wir liefen durch den Basar, uns wurden permanent anzügliche, englische oder französische Schmeicheleien um die Ohren gehauen, wir wurden nicht in Ruhe gelassen, zum Glück nicht angefasst.
Wie werden wir hier bloß von den Männern behandelt? Wie werden abendländische Touristinnen in einem Land behandelt, in dem die Bevölkerung mehrheitlich dem Islam angehört? Wie werden die Frauen des eigenen Landes behandelt, in dem die religiöse Mehrheit der Menschen muslimisch ist?
Als erstes, will ich auf die Position des Touristen eingehen. Als Tourist ist man Gast in einem fremden Land, man ist Zuschauer, Eindringling und Voyeur. Das Reiseland unterliegt auch womöglich einer zum Heimatland differenten politischen Struktur. Es besitzt eine eigene Geschichte, eine eigene Kultur, somit auch eigene Gebräuche, Riten, Essgewohnheiten, Wertvorstellungen und auch eigene soziale Strukturen. Bevor eine Reise in ein unbekanntes Land angetreten wird, sollte man sich eingehend über mögliche im Land auffindbaren Abweichungen zur eigenen Kultur informieren, mit denen man zwangsläufig konfrontiert werden wird. Wenn man dies nicht tut, läuft man Gefahr vollkommen überrascht und vor den Kopf gestoßen zu werden, oder umgekehrt, Einheimische mit zu deren Kultur verschiedenen, unserer Kultur inhärenten Verhaltensweisen vor den Kopf zu stoßen. Reisen kann ein riesiges, erfreuliches, Horizont erweiterndes, positives Abenteuer werden, oder durchsetzt sein von diversen unerwarteten, vielleicht ungewollten Missverständnissen. Das heißt, es ist ratsam, sich im entsprechenden Land den Gepflogenheiten anzupassen, die Würde der Einheimischen nicht durch naives touristisches Verhalten zu verletzen, und gegenüber der fremden Kultur eine respektvolle Haltung einzunehmen. Klar, kein halbwegs kluger, neu- und reisegieriger Mensch würde das wohl absichtlich tun.
Da auch ich mich als würdevollen Reisenden bezeichnen würde, gehen wir davon aus, dass mein Verhalten in fremden Ländern nahezu tadellos ist. (Man darf dabei natürlich nicht vergessen, dass ich mich für meine Auffassung von tadellosem Verhalten an westlichen, im Vergleich zu manch anderen, sehr liberalen Maßstäben orientiere.... Jedenfalls handle ich nach bestem Gewissen.) Also verhalte ich mich respektvoll, verhülle meine Schultern und Beine bei den verschiedenen Moscheebesuchen Respekt zollend mit einfarbigen Tüchern, und starre den Männern auf der Straße nicht lasziv und gierig in die Augen. Ich bin nie unhöflich, verwende beim Einkaufen türkische Brocken wie "danke" ("teşekkür ederim") und "hallo" ("merhabalar") und "bitte" ("lütfen"), und bin sonst auch relativ interessiert am Erwerb neuer Erkenntnisse über die andersartige Kultur. Also erfülle ich größtenteils meine an mich selbst gestellte Anforderung, ein guter Tourist zu sein. Doch erwarte ich eine gewisse Toleranz von den Einheimischen auch mir gegenüber. Nur weil man als Tourist nicht mit der dortigen Kultur aufgewachsen ist, und sich schlimmstenfalls wenig mit ihr auseinandergesetzt hat, sollte trotzdem ein gegenseitiger Respekt herrschen. Respekt sollte immer beidseitig sein. Wechselseitig. Eine respektvolle Begegnung zwischen Vertretern zweier unterschiedlicher Kulturen.

Freddy und ich kurz vor einem Moscheebesuch
quierecafe - 19. Nov, 21:43
... Doch nicht immer meint es das Universum gut mit uns. Manchmal widerfährt unserem Leben durch äußere Ereignisse und unglückliche Zufälle einschneidende, teilweise Wendungen. Als Beispiel könnte man hier viele Dinge nennen. Unfälle, Todesfälle von einem nahestehenden Personen, Krankheiten, die uns unverhofft übermannen und niederschmettern. Man wird vom aktiv Handelnden, vom Akteur zum Behandelten. Das Leben behandelt uns nach Lust und Laune. So ist Leonie, meine Mitbewohnerin zum Beispiel ohne Vater aufgewachsen, weil dieser sich das Leben nahm. Sie hatte sich daran zu gewöhnen, nur noch einen Elternteil zu haben. Sie musste sich an die gegebenen Umstände anpassen, sich behandeln lassen, um danach in der neuen Situation wieder zum Handelnden zu werden. Ein anderes Beispiel ist die 54 jährige Mutter meiner Freundin Rebecca. Sie ist inzwischen über 50. Das Universum mit seinem chaotischen Zufall wollte es so, dass sich auf dem Weg von ihrer Arbeit nach Hause eine sehr spezielle Baustelle befand. Der linke Bürgersteig war komplett umgegraben, Leitungen mussten wohl erneuert werden. Vom linken Bürgersteig, über die Straße, bis hinüber zum rechten Bürgersteig strafften sich mehrere Kabel und sonstige drahtige Utensilien, die für bestimmte, mir jedoch unbekannte Zwecke gebraucht wurden. Der Zufall wollte es, dass die liebe Frau eines Tages, geblendet durch gleißendes Sonnenlicht, sich nicht der Kabel erinnernd, über dieselben stolperte. Sie schleppte sich kurzerhand nachhause und bemerkte erst 2 Tage später, wie schlecht es um ihre Hüfte stand. Diese war gebrochen. Eine saubere Beckenfraktur. Sie unterschätzte daraufhin die Folgen und Auswirkungen, die dieser Bruch, verursacht durch eine Kette unglücklich aneinandergereihten Zufällen, nach sich zog. Ihr Leben hat sich komplett verändert. Sie ist nun permanent auf fremde Hilfe angewiesen, kann sich nur sehr schleppend fortbewegen, läuft, wenn sie läuft, auf Krücken. Ihr Alter erschwert die erfolgreiche und schnelle Heilung erheblich.
Wir alle erfahren von Unfällen, negativen Vorkommnissen und anderer unglücklicher Zufälle in unserem Bekanntenkreis und erfahren diese Dinge auch am eigenen Leibe. Unsere Welt ist für uns unsicher und uns wiederfahrende Dinge sind unkalkulierbar geworden. Wie Stefan Klein in seinem Werk „Alles Zufall“ bemerkt, waren die Menschen schon immer Risiken ausgesetzt, wobei die Feinde in der Vergangenheit meist bekannt waren. So zum Beispiel diverse Krankheiten, Regungen der Umwelt wie Fluten oder Lawinen. Die Menschen konnten ahnen, was sie befürchten konnten, denn Welt in der sie lebten war viel begrenzter als heute. Somit auch ihre individuelle Art der Lebensgestaltung. Durch die Globalisierung, die technischen Neuerungen und die Vernetzungen, die instantane Kommunikation zwischen Menschen auf allen Teilen der Erde möglich machen, ist man als Individuum viel komplexeren, vielfältigeren Risiken ausgesetzt.1 So glauben zwei Drittel aller Westeuropäer, die nächste Generation werde in einer weniger sicheren Welt leben als heute. 2
Auch Experten sind mit Prognosen für die nähere Zukunft überfordert. Sämtliche Entwicklungen (wirtschaftliche, globale...) können kaum im Vorfeld erahnt werden, sie sind dank all der Verflechtung von Unternehmen und Staaten, der Flut der neusten Meldungen der Mediengesellschaften und des Fortschritts der Technik unüberschaubar. 3
Diese nicht zu erahnende Zukunft liefert, meiner Meinung nach jedoch nicht nur Grund zur Sorge. Sie eröffnet auch Chancen, die man freudig erwarten, und dann ergreifen kann.
Wir leben in Deutschland. Ein europäisches Land, dem es im Vergleich zu anderen (sogar anderen europäischen) Ländern gut geht. Auch wenn wir uns über diesen Beschluss, jene Gehaltskürzung, oder diverse bürokratische Hürden aufregen, haben wir es gut. Uns fehlt es weder an Wasser, noch an Essen, noch an Demokratie, noch an Meinungsfreiheit. Wir haben keinen Grund uns in der nahen Zukunft vor diversen verheerenden Umweltkatastrophen zu fürchten, dank der günstigen Lage unserer Erdplatten auf dem Globus. Ich denke, rein methaphorisch, dass wir in einer art gepuffertem Kokon aus Styropor wohnen, in dem uns der Gedanke an die Zukunft, so ungewiss sie sein mag, nicht beunruhigen sollte. Oft huldige ich den Zufall, der es fertig gebracht hat, mich hier auf die Welt zu bringen, und nicht anderswo. Vor allem, während ich auf Reisen in exotischeren, gänzlich anders beschaffenen Ländern bin, lobpreise ich den Luxus meines Geburtsortes und permanenten Wohnortes. Manchmal jedoch, beschleicht mich ein Gefühl von Scham. Ein Schatten, der mein stolzes, beflügelndes Hochgefühl trübt. Ich schaue mich um, zum Beispiel in Istanbul, mit meiner Freundin Arm in Arm stehend, lachend und unsere Sonnenbrillen zurechtrückend. Wir befinden uns in einem Viertel, aus dem die Armut uns nur so entgegenspringt...
1 vgl.Stefan Klein, Alles Zufall, Hamburg, 2004, S. 28.
2 vgl. Die reichsten sind am unsichersten, Süddeutsche Zeitung, 8. Januar 2004.
3 vgl. Stefan Klein, Alles Zufall, Hamburg, 2004, S. 28.
quierecafe - 14. Nov, 13:52
Klar bestimme ich selbst über die Gestaltung meines Lebens! Ich treffe täglich Entscheidungen: Gehe ich zum Sport?; sehe ich meine Freunde heute?; bewerbe ich mich für ein Praktikum?; wo?. Ständig muss ich abwägen, Prioritäten setzen, Interessen fördern, mich an sie klammern und nach meinem rationalen Verstand und meinem Bauchgefühl diesen oder jenen Weg einschlagen. Doch nimmt das, was in meiner Umwelt vor sich geht einen erheblichen Anteil daran. Wie oft ist uns auf Reisen jemand über den Weg gelaufen, mit dem wir nicht gerechnet habe? Wie oft hat man Möglichkeiten eröffnet bekommen, von denen man vorher nicht zu träumen gewagt hat?
Nun glaube ich persönlich nicht an das Schicksal, das von höheren Mächten wie dem Universum (siehe Paolo Coelhos „Der Alchimist“) vorgegeben und bewusst eingestreut wird. Das Schicksal ist was für an höhere, spirituelle Mächte glaubende Personen. Vielmehr denke ich, das ein gewisses Chaos, ein dem Universum inhärentes Chaos ständig Zufälle produziert, dessen Teil wir sind. Meine Fähigkeit zum selbstbestimmten Leben schrumpft also auf die Größe einer Rosine. Klar, ich muss Entscheidungen treffen, mich akut oder weniger akut für die eine oder andere Richtung an den Weggabelungen meines Lebens entscheiden. Doch die aktive, als Akteur handelnde Umwelt stellt mich permanent neuen Situationen gegenüber, auf die ich aktiv oder passiv zu reagieren habe.
Für mich ist der Zufall die untrennbare Komponente zur Selbstbestimmung. Zufall als Symbiont zur Entscheidung. Zufall als Gegenteil zum Ergebnis einer kausalen Handlungskette. Für manche mag es erschreckend klingen, nicht der alleinige Herr über das eigene Leben zu sein, für mich aber bedeutet es Erleichterung, Erquickung und Verantwortungsabgabe. Klar, man darf nicht alle Vorkommnisse dem Zufall zuschreiben, dabei würde man sich vom Zufall bevormunden lassen und sämtliche Eigenverantwortung abtreten.
Beim recherchieren nach weisen Texten über den Zufall und dem Anteil der Selbstbestimmung im Leben bin ich auf einen kurzen Artikel von Michel Friedmann in der Welt am Sonntag gestoßen. Hier ein kleiner Auszug:
“Wenn der Verstand nicht mehr verstehen kann, was um ihn herum passiert, wenn die Seele aufschreit, ist der Mensch oft hilflos. Die Buskatastrophe in der Schweiz, die über 20 Kinderleben kostete, macht uns wieder einmal bewusst, wie hilflos wir sind, wenn wir versuchen, das Unerklärbare schließlich doch erklärbar zu machen. Oft wird dann von Schicksal gesprochen. Das Wort wird als eine Art höhere Macht interpretiert. Der Schicksalsschlag ist von uns Menschen nicht beeinflussbar. Die Verantwortung wird Gott oder einer gottähnlichen Macht übertragen. Wer an Gott nicht glaubt, landet deswegen beim Zufall, wenn Katastrophen wahr werden. Der Zufall definiert sich dadurch, dass keine kausale Erklärung gegeben werden kann, wenn mehrere Ereignisse aufeinanderprallen und zu einem beliebigen Ergebnis führen.
Im Zufall steckt die Chaostheorie. Alles ist möglich jederzeit, ohne Sinn und Grund. Viele sprechen aber vom Zufall, weil sie noch nicht das Wissen haben, das eine gegebene Situation erklären würde. “1
Zufall ist also ein unentbehrlicher Teil unseres Alltags. Er ist unentbehrlich um nicht gezwungen zu sein manchmal seltsame, manchmal besonders schöne, manchmal grausame Vorkommnisse rational erklären zu müssen. Wir legitimieren die Existenz unerklärbarer Gegebenheiten.
Milan Kundera schreibt dem Zufall in seinem Buch “Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins” eine aphrodisierende, spannende, zum guten Leben fast notwendige Wirkung zu: “Nicht die Notwendigkeit, sondern der Zufall ist voller Zauber. Soll die Liebe unvergesslich sein, so müssen sich vom ersten Augenblick an Zufälle auf ihr niederlassen wie die Vögel auf den Schultern des Franz von Assisi.” 2
Weiterhin schreibt er Ereignissen, die durch Zufälle zustande kommen eine unglaubliche Bedeutung zu. Der Protagonist des Romans trifft auf eine Frau, zu der er eine unglaubliche Liebe entwickelt, und schreibt dieses Zusammentreffen sechs sehr unwahrscheinlichen Zufällen zu, ohne diese sie sich niemals getroffen hätten.3 Indem er im gesamten Roman immer wieder auf diese Zufälle zu sprechen kommt, versteht der Rezipient warum die Liebe zu dieser Frau für den doch sehr freiheitsliebenden Protagonisten so besonders ist. Je weniger wir uns selbst für ein bestimmtes Vorkommnis als aktiv entscheidender Akteur verantwortlich fühlen, desto mehr Bedeutung messen wir dem zufälligen Geschehnis bei. Das Universum hat es mit seinem Chaos umherwandelnder Atome gut mit uns gemeint.
1 Michel Friedmann,Welt am Sonntag, Ausg. 2012, S.13.
2 Milan Kundera, Die Unerträgliche Leichtigkeit des Seins, München, 1984, S.50.
3 vgl. ebd. S.49.
quierecafe - 7. Nov, 20:30
Da sitze ich doch tatsächlich am Dienstag Morgen in diesem Seminar! In diesem Seminar, dass ich mir "nur mal anschauen" wollte, von dem ich mir sicher war, es würde sich hinter anderen verkrümeln und still und heimlich in die Rubrik " zweite Wahl" rutschen. Dieser kleine, völlig stickige und überfüllte Seminarraum macht mich schläfrig. Ich konzentriere mich, höre mir alles mit mildem Interesse an, hoffe nicht aufgerufen zu werden, und über das Besondere meiner Motivation für den Seminarbesuch fantasieren zu müssen. Wider Erwarten kriecht das Thema des Seminars durch mein Bewusstsein, ringelt sich, bringt etwas in Gang. Ich denke nach, frage mich, wie groß dieses Themengebiet wirklich ist: "Behandeln und Behandelt werden". Das kling weitläufig, ominös, schleierhaft. Eigentlich kann ich recht wenig mit dem Titel anfangen, und während das Programm vorgestellt wird, geben die einen und anderen schon ihren weisen Senf zu einer gewissen "ANT" ab. "Was ist ANT ?", frage ich meine Banknachbarin. Sie zuckt mit den Achseln. Wenigstens bin ich nicht allein unwissend, und vergesse somit das kleine nagende schlechte Gewissen, das mir vorwirft, in den Semesterferien nicht nach Informationen zu "ANT" gejagt zu haben. Nach dem Seminar stelle ich fest, dass mich das Blogschreiben reizen würde; nicht weil man jede Woche Beiträge verfassen soll, sondern weil man seinen Gedanken mehr oder Weniger freien Lauf lassen kann. Existiert denn ein wissenschaftlicher Anspruch?
Später informiere ich mich über die Akteur-Netzwerk-Theorie von Latour; das Ganze klingt nicht so simpel. Wenn ich diese Theorie knapp für mich selbst runterbrechen müsste, würde ich sie so beschreiben:
Die Theorie, die eher eine Methode ist, appelliert an Soziologen, Anthropologen und Historiker, indem sie Kritik an Begriffen wie "Gesellschaft" und "Kollektiv" übt. Sie warnt davor, nur Menschen als aktive Akteure im sozialen Netzwerk der "Gesellschaft" zu sehen.
Die ANT besagt, dass Dinge, sowie Zeichen und Personen Akteure sein können.
Der Mensch ist also nicht der alleinig Handelnde, von dem ein nichtmenschlicher Gegenstand gebraucht wird, sondern beide Komponenten(Mensch und Ding), sind Akteure, die in der Symbiose ein Akteurskollektiv bilden. Beide Akteure haben ursprünglich verschiedene Ziele, die sich jedoch überlagern und zu einem neuen, gemeinsamen Ziel transformieren. Der neu entstandene Hybrid kann nach Latour auch als verschachtelte Blackbox bezeichnet werden, dessen Elemente aus langen Handlungsketten hervorgehen. Wir werden auf die einzelne Akteure im Hybrid erst im Moment der Krise aufmerksam.
Als Beispiel kann man hier den Tageslichtprojektor nennen, den wir als Ganzes empfinden, dessen einzelne Teile jedoch aus unzählbaren Handlungsketten hervorgegangen sind. Doch erst, wenn er nicht mehr funktioniert, wird man sich bewusst, dass er ein Hybrid unterschiedlichster kleiner Akteure ist.
Die Theorie impliziert, dass verschiedene Gesellschaften nicht von der Technik getrennt betrachtet werden können, sondern, dass gesellschaftliche Fortschritte und Veränderungen eng mit den technischen verbunden sind und eine Wechselbeziehung unterhalten. Also soll die Grenze zwischen Natur und Gesellschaft aufgehoben werden, was zur Folge hat, dass im gesamten Netzwerk/ Interaktionsraum wechselseitige Beziehungen zwischen Natur, Technik, menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren herrschen.
Ob ich das korrekt verstanden habe? Wahrscheinlich ist mein Verständnis jetzt nur eine wage Ahnung von der eigentlichen Bedeutung der Theorie. Jedoch hat mich der rohe Gedanke daran, dass nichtmenschliche Dinge als Akteure betrachtet werden, mitgerissen.
Meine Welt, ist meine eigene, individuell geschaffene Welt. In meiner Welt bin ich die einzig Handelnde. Ich entwerfe mein Leben, bestimme meinen Alltag, suche mir Freunde, Wohnung und Jobs. Kein Gegenstand hat das Recht, oder die Macht, in meinem Leben zum Akteur zu werden, und mich, die aktiv handelnde Person zu beeinflussen. Das denke ich (noch). Was und wie ist aber überhaupt meine Welt? Meine Welt ist doch eine sehr subjektive Welt. Ich nehme nur Dinge wahr, die als selektierte Unterschiede von unendlich vielen Unterschieden in mein System (Ich und Umwelt) aufgenommen wurden (Gregory Batesons Theorie kommt mir in den Sinn). In meiner subjektiven Welt bin ich ich, doch meine Umwelt gehört zu mir- wir bilden ein System. Daraus folgt erstens, dass die Grenze zwischen mir und meiner Umwelt fließend und nicht definierbar ist, und zweitens, dass die Umwelt (und somit auch nichtmenschliche Dinge) mich und meine subjektive Welt sehr wohl beeinflusst. Und vielleicht bin ich so sehr damit beschäftigt, die für mich relevanten Unterschiede aus den Unterschieden um mich herum rauszufiltern, dass ich darüber vergesse, wie sehr ich beeinflusst werde von äußeren Umständen und dabei gelähmt zuschaue? Bestimme ich also ganz autonom mein Leben? Bin ich der einzige Verantwortliche über meine individuelle Zukunft? Oder bin ich ein passiver Voyeur meines voranschreitenden Lebens? Ich werde darüber nachdenken.
quierecafe - 27. Okt, 16:04