Es ist paradox

In meinem abschließenden Beitrag zu Fabians Werk, möchte ich zuerst auf die subjektive Art der Reiseberichte verweisen, die teilweise mit recht negativen Affekten aufgeladen sind. Beim Lesen dieser Berichte wird deutlich, dass die Einheimischen selten respektvoll behandelt wurden. Durch die Subjektivität in den einzelnen Berichten, die erlebte Dinge manchmal beschönigt, verherrlicht und abenteuerlicher erscheinen lässt, durch die sich aber auch negative Affekte offenbaren, ist es nicht möglich die Aussagen eines einzigen Berichts zu generalisieren. Jedoch kann man darauf schließen, dass die Reisenden die den Afrikanern gegenüber herrschende Stimmung mehrheitlich teilten, da sich ihre Berichte oft ähnelten und wiederholten, wenn es um subjektive Eindrücke und Beschreibungen ging. Als Beispiel für eine solche geringschätzige Geisteshaltung gegenüber den Einheimischen nennt Fabian den Bericht von Melville William Hilton-Simpson, der seine abfällige Meinung über den Stamm der Bankutu preisgibt: „Klein und sehr schmutzig in ihrer Erscheinung, abergläubisch, furchtsam und hinterhältig, scheinen sie von der drückenden Atmosphäre und der fast geisterhaften Düsternis ihres heimischen Waldes beeinflusst zu sein. [...] [Sie] sind kleinwüchsig und hässlich, mürrisch und unfreundlich in ihrer Art, und mit Ausnahme des Baus von Hütten ist die einzige Kunst, die sie entwickelt haben, [...] Mitmenschen zu töten." 1

Es ist schon paradox: die westlichen, „modernen und zivilisierten“ Menschen verachteten die afrikanischen Eingeborenen und betitelten sie als Primitive und Wilde, während sie selbst sich gewalttätig, aggressiv und wild verhielten, indem sie die imperialistische Expansion mit militärischer Gewalt vorangetrieben haben.

Die Afrikaner, mit ihren eigenen Riten und Bräuchen, wurden von den Europäern also weder respektvoll behandelt, noch als autonome und würdevolle Individuen betrachtet. Sie wurden vielmehr zum wissenschaftlichen Objekt, das es zu erforschen ging. Diese Haltung resultierte wahrscheinlich aus der Tatsache, dass die Forscher eine naturwissenschaftliche Orientierung angenommen hatten, wodurch sie verpflichtet waren, die afrikanische Kultur und die Menschen als Forschungsobjekte zu betrachten. 3

Können wir also festhalten, dass die Forschungsreisenden im Auftrag der Kolonialisierung sich generell über die Einheimischen stellten und sie schlecht und respektlos behandelten? Existierte bei derartigen Reisen prinzipiell ein Mangel an Rücksicht und Anerkennung der Gleichwertigkeit als Mensch an sich? Kann man in der Beziehung zwischen Forschendem und Einheimischen an irgendeiner Stelle einen halbwegs „anerkennenden Respekt“ erahnen?

Zum Thema Kolonialisierung hat man meistens negativ konnotierte Vorstellungen und Bilder im Kopf: physische und psychische Gewaltakte, Unterwerfung Einheimischer, Machtspiele, Vergewaltigungen? Sind diese Bilder berechtigt zu existieren? Haben nicht gerade die Forschungsreisenden eine ausreichende Bildung genossen? Sind sie nicht in der Lage über ihr eventuell unangebrachtesVerhalten gebührend zu reflektieren? Wahrscheinlich nicht. Ich nehme an, sie versuchten sich kaum auf gleichwertige Beziehungen und Interaktionen mit den Afrikanern einzulassen, weil sie ihr Verhalten gegenüber den Einheimischen durch Vorurteile bekräftigten und somit nicht hinterfragen mussten. Fabian schreibt auch, dass den Forschern Theorien und Ideen schon im Vorfeld gefertigt wurden, um Dingen wie befremdlichen Glaubensvorstellungen und Praktiken Sinn zu geben. 4
Afrikaner waren Forschungsobjekte. Mit Objekten geht man keine Beziehung ein. Und wenn doch, dann keine gleichwertige, in der die Machtverhältnisse der Parteien gerecht ausbalanciert sind. Hier herrscht die Auffassung des aktiv handelnden Akteurs, der sich möglichst unter Kontrolle haben musste, und „dem Anderen“. „Der Andere“, der sich möglichst nicht für den Akteur zu interessieren braucht, und keine Rechte haben sollte, diese näher unter die Lupe zu nehmen. Wenn er es doch täte, würde er sogleich als Privatsphäre missachtender Wilde bezeichnet werden. Und wenn doch einmal etwas wie eine freundschaftliche Bindung zustande käme, würde diese durch ihren vermeidlichen Nutzen für die Ziele der Expeditionen gerechtfertigt werden.

Auf diese Fragen gibt es wohl keine eindeutige Antwort. Ich denke, man kann hier nicht das stereotypisch, in schwarz-weiß gedachte Bild vom braven, guten Einheimischen und dem blutrünstigen, bösen Feind anwenden. Ja, die westlichen Forschungsreisenden mögen eine generell herablassende Grundeinstellung gegenüber den Afrikanern gehabt haben, sie mögen für sie niedrige und gehässige Attribute gebraucht haben, sie mögen eine Differenz den Intellekt, die Zivilisierung, und die äußere Erscheinung betreffend zwischen sich selbst und den Einheimischen gesehen haben, und sie damit nicht als ebenbürtig respektiert haben. Sie mögen die Einheimischen als belästigende, keinen Sinn für Privatsphäre habende Wilde gesehen haben, ohne sich dabei an die eigene Nase zu fassen. Sie mögen ihre Ziele über das Wohl der Afrikaner gestellt haben, und die Kultur und Riten dieser ver- und missachtet haben. Ja sie mögen sogar an Machtspielchen, in denen sie den Einheimischen Angst einflößten, Gefallen gefunden haben.

Dennoch: Es gab einige Versuche auf Seiten der Reisenden, sich den Afrikanern gegenüber angemessen zu verhalten. Hier und da gelangen Freundschaften, sie versuchten ihre semantische Unkenntnis zu bekämpfen, indem sie sich bei den Afrikanern Hilfe suchten, und ihre abwertende Einstellung, vor allem gegenüber dem einheimischen Körperbau, konnte dessen Ästhetik nicht recht standhalten und schlug in Bewunderung um.

So respektierten sie immerhin sporadisch, und in Bezug auf verschiedene Situationen die Einheimischen als autonome Menschen. Obwohl diese Form von „anerkennendem Respekt“ bedingungslos sein sollte, ist sie wohl im Fall der die Kolonialisierung vorantreibenden Forschungsreise eher eine Seltenheit. Die Reisenden waren sicherlich gezwungen, ihre Prioritäten auf andere Dinge zu legen. So kämpften sie um vertretbare Forschungsergebnisse zwischen Ekstase, ihrem „Außer-Sich-Sein“, tödlichen Krankheiten und der Kontrolle über ihr Verhalten und sexuelle Energien. Dabei kehrten nur sehr wenige lebend nach Hause zurück. 5



1 Johannes Fabian, Im Tropenfieber, 2001, S.298.
2 ebd., S. 223.
3 ebd., S.246.
4 ebd., S. 304.
5 ebd., S. 118

Aktuelle Beiträge

Ich resümiere
Es ist an der Zeit, dass ich resümiere. Die letzten...
quierecafe - 28. Feb, 22:14
Auf der Suche nach Respekt
Aufgehört habe ich mit der Idee, die Stellung der...
quierecafe - 26. Feb, 15:36
Der Friedenshüter- Akteur...
So sind die Blauhelme, die nicht vor sexuellem Missbrauch...
quierecafe - 26. Feb, 15:10
Peacekeeper bewahren...
Ich möchte heute der Frage nachgehen, was in der gegenwärtigen...
quierecafe - 26. Feb, 15:05
"Was der Bauer nicht...
Friedensmissionen sind die eine Sache, Operationen...
quierecafe - 26. Feb, 14:46
Auf Reisen
Freddy und ich schauen uns an. Ein mulmiges Gefühl...
quierecafe - 24. Jan, 19:19
Es ist paradox
In meinem abschließenden Beitrag zu Fabians Werk, möchte...
quierecafe - 20. Jan, 13:26
Von Gewalt und Macht
Um angemessen forschen zu können, erlegten sich die...
quierecafe - 20. Jan, 11:57
Im Tropenfieber
Fabian, der an der Universität Amsterdam Kulturanthropologie...
quierecafe - 18. Jan, 18:30
Der "anerkennende Respekt"
Jeder sehnt sich danach, respektvoll behandelt zu werden....
quierecafe - 26. Dez, 19:39
Über ein Interview mit...
Eine respektvolle Begegnung zwischen dem Touristen...
quierecafe - 13. Dez, 15:10
Erster Eintrag. schemenhaft.
Da sitze ich doch tatsächlich am Dienstag Morgen in...
quierecafe - 28. Nov, 14:40
Vielfältige Risiken
... Doch nicht immer meint es das Universum gut mit...
quierecafe - 14. Nov, 13:52
Schicksal und Zufall
Klar bestimme ich selbst über die Gestaltung meines...
quierecafe - 7. Nov, 21:33

Impressum

Impressum

Angaben gemäß § 5 TMG:

Janina Leitner
Farnweg 13
78467 Konstanz

Kontakt:

Telefon:

Telefax:

E-Mail:

ja.nina.leitner@gmail.com

 

Quelle: Impressum von e-recht24.de speziell für Privatpersonen erzeugt.

Haftungsausschluss:

Haftung für Inhalte

Die Inhalte unserer Seiten wurden mit größter Sorgfalt erstellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Als Diensteanbieter sind wir gemäß § 7 Abs.1 TMG für eigene Inhalte auf diesen Seiten nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. Nach §§ 8 bis 10 TMG sind wir als Diensteanbieter jedoch nicht verpflichtet, übermittelte oder gespeicherte fremde Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen bleiben hiervon unberührt. Eine diesbezügliche Haftung ist jedoch erst ab dem Zeitpunkt der Kenntnis einer konkreten Rechtsverletzung möglich. Bei Bekanntwerden von entsprechenden Rechtsverletzungen werden wir diese Inhalte umgehend entfernen.

Haftung für Links

Unser Angebot enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten ist jedoch ohne konkrete Anhaltspunkte einer Rechtsverletzung nicht zumutbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Links umgehend entfernen.

Urheberrecht

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet. Soweit die Inhalte auf dieser Seite nicht vom Betreiber erstellt wurden, werden die Urheberrechte Dritter beachtet. Insbesondere werden Inhalte Dritter als solche gekennzeichnet. Sollten Sie trotzdem auf eine Urheberrechtsverletzung aufmerksam werden, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Inhalte umgehend entfernen.

Datenschutz

Die Nutzung unserer Webseite ist in der Regel ohne Angabe personenbezogener Daten möglich. Soweit auf unseren Seiten personenbezogene Daten (beispielsweise Name, Anschrift oder eMail-Adressen) erhoben werden, erfolgt dies, soweit möglich, stets auf freiwilliger Basis. Diese Daten werden ohne Ihre ausdrückliche Zustimmung nicht an Dritte weitergegeben.

Wir weisen darauf hin, dass die Datenübertragung im Internet (z.B. bei der Kommunikation per E-Mail) Sicherheitslücken aufweisen kann. Ein lückenloser Schutz der Daten vor dem Zugriff durch Dritte ist nicht möglich.

Der Nutzung von im Rahmen der Impressumspflicht veröffentlichten Kontaktdaten durch Dritte zur Übersendung von nicht ausdrücklich angeforderter Werbung und Informationsmaterialien wird hiermit ausdrücklich widersprochen. Die Betreiber der Seiten behalten sich ausdrücklich rechtliche Schritte im Falle der unverlangten Zusendung von Werbeinformationen, etwa durch Spam-Mails, vor.

 

Quellverweis: eRecht24 Disclaimer

Suche

 

Status

Online seit 4712 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 28. Feb, 22:14

Profil
Abmelden
Weblog abonnieren