Es ist paradox
Es ist schon paradox: die westlichen, „modernen und zivilisierten“ Menschen verachteten die afrikanischen Eingeborenen und betitelten sie als Primitive und Wilde, während sie selbst sich gewalttätig, aggressiv und wild verhielten, indem sie die imperialistische Expansion mit militärischer Gewalt vorangetrieben haben.
Die Afrikaner, mit ihren eigenen Riten und Bräuchen, wurden von den Europäern also weder respektvoll behandelt, noch als autonome und würdevolle Individuen betrachtet. Sie wurden vielmehr zum wissenschaftlichen Objekt, das es zu erforschen ging. Diese Haltung resultierte wahrscheinlich aus der Tatsache, dass die Forscher eine naturwissenschaftliche Orientierung angenommen hatten, wodurch sie verpflichtet waren, die afrikanische Kultur und die Menschen als Forschungsobjekte zu betrachten. 3
Können wir also festhalten, dass die Forschungsreisenden im Auftrag der Kolonialisierung sich generell über die Einheimischen stellten und sie schlecht und respektlos behandelten? Existierte bei derartigen Reisen prinzipiell ein Mangel an Rücksicht und Anerkennung der Gleichwertigkeit als Mensch an sich? Kann man in der Beziehung zwischen Forschendem und Einheimischen an irgendeiner Stelle einen halbwegs „anerkennenden Respekt“ erahnen?
Zum Thema Kolonialisierung hat man meistens negativ konnotierte Vorstellungen und Bilder im Kopf: physische und psychische Gewaltakte, Unterwerfung Einheimischer, Machtspiele, Vergewaltigungen? Sind diese Bilder berechtigt zu existieren? Haben nicht gerade die Forschungsreisenden eine ausreichende Bildung genossen? Sind sie nicht in der Lage über ihr eventuell unangebrachtesVerhalten gebührend zu reflektieren? Wahrscheinlich nicht. Ich nehme an, sie versuchten sich kaum auf gleichwertige Beziehungen und Interaktionen mit den Afrikanern einzulassen, weil sie ihr Verhalten gegenüber den Einheimischen durch Vorurteile bekräftigten und somit nicht hinterfragen mussten. Fabian schreibt auch, dass den Forschern Theorien und Ideen schon im Vorfeld gefertigt wurden, um Dingen wie befremdlichen Glaubensvorstellungen und Praktiken Sinn zu geben. 4
Afrikaner waren Forschungsobjekte. Mit Objekten geht man keine Beziehung ein. Und wenn doch, dann keine gleichwertige, in der die Machtverhältnisse der Parteien gerecht ausbalanciert sind. Hier herrscht die Auffassung des aktiv handelnden Akteurs, der sich möglichst unter Kontrolle haben musste, und „dem Anderen“. „Der Andere“, der sich möglichst nicht für den Akteur zu interessieren braucht, und keine Rechte haben sollte, diese näher unter die Lupe zu nehmen. Wenn er es doch täte, würde er sogleich als Privatsphäre missachtender Wilde bezeichnet werden. Und wenn doch einmal etwas wie eine freundschaftliche Bindung zustande käme, würde diese durch ihren vermeidlichen Nutzen für die Ziele der Expeditionen gerechtfertigt werden.
Auf diese Fragen gibt es wohl keine eindeutige Antwort. Ich denke, man kann hier nicht das stereotypisch, in schwarz-weiß gedachte Bild vom braven, guten Einheimischen und dem blutrünstigen, bösen Feind anwenden. Ja, die westlichen Forschungsreisenden mögen eine generell herablassende Grundeinstellung gegenüber den Afrikanern gehabt haben, sie mögen für sie niedrige und gehässige Attribute gebraucht haben, sie mögen eine Differenz den Intellekt, die Zivilisierung, und die äußere Erscheinung betreffend zwischen sich selbst und den Einheimischen gesehen haben, und sie damit nicht als ebenbürtig respektiert haben. Sie mögen die Einheimischen als belästigende, keinen Sinn für Privatsphäre habende Wilde gesehen haben, ohne sich dabei an die eigene Nase zu fassen. Sie mögen ihre Ziele über das Wohl der Afrikaner gestellt haben, und die Kultur und Riten dieser ver- und missachtet haben. Ja sie mögen sogar an Machtspielchen, in denen sie den Einheimischen Angst einflößten, Gefallen gefunden haben.
Dennoch: Es gab einige Versuche auf Seiten der Reisenden, sich den Afrikanern gegenüber angemessen zu verhalten. Hier und da gelangen Freundschaften, sie versuchten ihre semantische Unkenntnis zu bekämpfen, indem sie sich bei den Afrikanern Hilfe suchten, und ihre abwertende Einstellung, vor allem gegenüber dem einheimischen Körperbau, konnte dessen Ästhetik nicht recht standhalten und schlug in Bewunderung um.
So respektierten sie immerhin sporadisch, und in Bezug auf verschiedene Situationen die Einheimischen als autonome Menschen. Obwohl diese Form von „anerkennendem Respekt“ bedingungslos sein sollte, ist sie wohl im Fall der die Kolonialisierung vorantreibenden Forschungsreise eher eine Seltenheit. Die Reisenden waren sicherlich gezwungen, ihre Prioritäten auf andere Dinge zu legen. So kämpften sie um vertretbare Forschungsergebnisse zwischen Ekstase, ihrem „Außer-Sich-Sein“, tödlichen Krankheiten und der Kontrolle über ihr Verhalten und sexuelle Energien. Dabei kehrten nur sehr wenige lebend nach Hause zurück. 5
1 Johannes Fabian, Im Tropenfieber, 2001, S.298.
2 ebd., S. 223.
3 ebd., S.246.
4 ebd., S. 304.
5 ebd., S. 118