Montag, 7. Januar 2013

Von Gewalt und Macht

Um angemessen forschen zu können, erlegten sich die Forschenden, wie letztes Mal erwähnt, die Kontrolle über sich selbst zu wahren. Dabei war ihr konstant auferlegtes Ziel, nicht nur die Kontrolle über ihre sexuellen Energien zu haben, sondern eine generelle Distanz zum Geschehen beizubehalten. Mithilfe der sogenannten „Hygiene-Doktrinen“, Vorschriften, die auf die Verknüpfungen zwischen Selbstkontrolle und Herrschaft hinwiesen, versuchten sie ihre Selbstkontrolle dauerhaft aufrechtzuerhalten. Nur wenn die Forscher im Besitz der Kontrolle über sich selbst und gleichzeitig über andere waren, waren sie in der Lage gewesen zu herrschen. Sie behandelten die Einheimischen auf der einen Seite wie wissenschaftliche Objekte, die es zu erforschen galt, aber auf der anderen Seite auch wie Instrumente, die beliebig genutzt werden konnten, solange man sie durch die korrekte Führung beeinflusste. „Wir werden unendlich viel Zeit sowie Wunder an Kaltblütigkeit, Energie und gleichmütiger Hartnäckigkeit brauchen, um unsere Männer zu beherrschen.“ 1

So halten sie auch vor physischer Gewalt nicht inne, und stellten ihre Ziele und ihr Wohl über das der Einheimischen : „Als ich sah, wie die Sachen standen, schnallte ich meinen Gürtel ab, und ohne ein Wort der Warnung schlug ich damit so derb auf die nackte Haut eines der Schläfern daß er mit einem Schrei auffuhr; ohne mich im geringsten zu bedenken, sprang ich jetzt wie ein Sklaventreiber von Einem zum Andern und theilte nach allen Seiten meine Hiebe aus. In wenigen Augenblicken war jede Hütte leer. Ich sprach kein Wirt, denn ich war in zu großer Wuth.“ 2 Unter anderem inszenierten die Forschungsreisenden durch Gewaltakte wie diesen, die natürlich nicht von jedem Forscher begangen wurden (es hatte mit deren individuelle beruflich bedingten Gewohnheiten, Charakter und sozialer Klasse zu tun) ihre Macht. So demonstrierten sie ihre Macht zum Beispiel auch mit Prügelstrafen, die sie geschickt vor Zuschauern inszenierten. Die Demonstrationen physischer Gewalt waren verschiedener Natur. Manchmal hatten sie ein tragisches Ende, manchmal nicht.

Doch nicht nur mit (inszenierter) Gewalt, sondern auch mit anderen Machtspielchen versuchten die Forschungsreisenden die Einheimischen zu beeindrucken, zu schockieren und Furcht zu erwecken. Die Reisenden benutzen den Einheimischen unbekannte Objekte, um sie zu erschrecken. So setzte sich der Forscher Leo Frobenius beispielsweise eine „japanische Maske“ auf, mit deren Hilfe er sein afrikanisches Publikum einschüchterte, und zeigte ihnen einen Phonograf um sie zu beeindrucken. Ein Phonograph war ein Gerät, das eigentlich zu Forschungszwecken eingesetzt wurde und Musik und Sprache aufzeichnen sowie wiedergeben konnte. Von Frobenius wurde es jedoch einfach genutzt um Eindruck zu schinden. 3

Die Europäer stellten sich weiterhin nicht nur durch die Gewalt und die herablassende Grundeinstellung, die sie den Einheimischen entgegenbrachten auf eine hierarchisch übergeordnete Stufe. Sie hatten zusätzlich keineswegs im Sinn, die afrikanische Kultur mit ihren Riten und Bräuchen zu tolerieren. Als Beispiel nennt Fabian hier den Gabentausch. Dieser, als klassisches ethnologisches Thema, wird in allen Quellen als eine der unangenehmsten Dinge, die man in Zentralafrika über sich ergehen lassen muss, erwähnt. 4 Das Ritual des Gabentauschs wird von den Europäern nicht als kultureller Ritus anerkannt, sondern als Erpressung, Verzögerungstaktik und lästige Tribut- und Zollzahlung abgetan. Sie reagierten ironisch, wenn der Gabentausch als „Austausch von Geschenken“ definiert wurde. Anstatt die spezielle Situation des Gabentauschs als Möglichkeit für ethnographische Erkundungen zu nutzen, sahen sie ihn als beschränktes Mittel, um Verbindungen herzustellen, und empfanden die Situation als Belastung. 5 Auch Tänze und die Musik der Eingeborenen wurden von den Forschern als „Lärm“ betitelt, der sie in den Wahnsinn trieb. 6

Dieser Wahnsinn, dieses „Von-Sinnen-Sein“, diese Ekstase, hervorgerufen durch Alkohol, Krankheiten wie dem „Tropen Fieber“ und Desertion, bedingt, nach Fabian, die wissenschaftliche Produktion von Wissen über Andere. Ekstatische Erfahrungen haben, so Fabian, das Potenzial für einige Momente, die Freundschaften zwischen Reisenden und Einheimischen ermöglichen, und eine „Ahnung von einer utopischen Begegnung zwischen dem Westen und Afrika auf der gleichen Ebene“ erscheinen lassen. 7 Wenn auf wissenschaftlichen Forschungsreisen Wissen über andere Kulturen erlang werden will, müssen Kulturgrenzen überschritten werden. Dabei sind zwei ausschlaggebende Elemente vonnöten: „Das Ich als unersetzliche[r] Akteur bei der Wissensproduktion und einen Anderen als das menschliche Forschungsobjekt.“ 8 Der Akteur benötigt, um an Forschungsergebnisse zu kommen, die Möglichkeit und die Muße zum Handeln. Um sich auf „den Anderen“, also das Forschungsobjekt, einzulassen, muss er seine Identität aufrechterhalten und sie gleichzeitig aufgeben. Denn nach Fabian sei es unmöglich zu handeln, wenn an der eigenen Identität zu starr festgehalten wird. Die Interaktion mit dem menschlichen Forschungsobjekt ist also nur möglich, wenn der Forschende, der Akteur, seine Identität als Prozess begreift, indem er Selbstkontrolle übt, und sich nicht als seine unveränderbare und starre Identität begreift. Die Selbstkontrolle schließt die Ekstase als ihre Negation ein. Ekstase wird also zu ihrer „pragmatischen und existentiellen Negation“ und somit neben der Selbstkontrolle des Einzelnen zum Element der wissenschaftlicher Forschung. 9 Um die imperialen Aufgaben zu erfüllen und an Wissen zu gelangen, gewann jedoch die Kontrolle überhand, was dazu führte, dass Freundschaften instrumentalisiert und verraten wurden. 10
Damit ist einerseits festzuhalten, dass das „Von-Sinnen-Sein“, also das Heraustreten aus sich selbst, zwar eine Bedingung ist, um an Wissen über andere zu gelangen und psychische Zusammenstößen zwischen Afrikanern und Europäern zu fördern, aber andererseits durch Selbstkontrolle der Reisenden in ihre Schranken gewiesen wurde. Dadurch wurde die Existenz einer Balance zwischen den sich Begegnenden aus dem Westen und Afrika nahezu unmöglich.

1 Fabian, Johannes, Im Tropenfieber, 2001, S. 192.
2 ebd., S.196.
3 ebd., S. 157.
4 ebd., S. 85.
5 ebd., S. 86.
6. ebd., S. 159 f.
7. ebd., S. 370.
8. ebd., S. 368 – 369.
9. ebd., S. 369.
10. ebd., S. 370.

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