Montag, 19. November 2012

Auf Reisen

Freddy und ich schauen uns an. Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, ihr passiert das selbe, das sehe ich ihr an. Oder war das Gefühl die ganze Zeit schon da? Um uns verfallene Häuser, Gitter vor den Fenstern, davor Leinen mit Wäsche drauf. Und wir zwischen allem. Zwei deutsche Touristinnen auf Entdeckungstour. Neugierige junge Frauen, denen man ansieht, dass sie keine große finanzielle Probleme haben. Um uns herum unterbrechen die Kinder ihr Ballspiel, schauen uns an. Reden und lachen. Über uns? Wir verstehen sie nicht, dennoch, oder vielleicht genau deshalb schäme ich mich ein wenig. Ich schäme mich, weil wir aufgrund unserer Kleider, diversen technischen Geräten in unseren Taschen und unserem Auftreten offensichtliche Fremdkörper sind. Wir kommen aus einer ihnen fremden Welt, in der wir andere Riten und Werte haben, und wir gehören einer anderen Religion an. Ich fühle mich in dieser mir so fremden Umgebung deplatziert. Wir sind Fremdkörper, die kein Recht haben, unbedarft umherzuschleichen und voyeuristische Blicke auf farblos bekleidete Menschen, Anhänger einer uns fremden Kultur zu werfen.
Dennoch befolgen wir mutig unseren ursprünglichen Plan. Wir lassen uns weiter durch die Straßen treiben und verlieren uns immer tiefer im Gassengewirr. Den Stadtplan holen wir natürlich nicht raus, obwohl wir sowieso aus 50 Metern Entfernung als Touristen erkannt werden. Wir folgen einer Straße, überwältigt von einem verwesten Geruch, der uns plötzlich in die Nase steigt. Beim Umherblicken, spähen wir verhalten aber neugierig durch die geöffneten Ladentüren der Metzgereien, die es hier wie Sand am Meer gibt. Eine reiht sich neben die andere. In großen Glasvitrinen liegen, sorgfältig aufgebahrt: gehäutete Schafsköpfe. Ein paar Meter vor den Vitrinen befinden sich große weiße Säcke, bis oben hin voll mit diversen Tierbestandteilen: Fette, Felle, Schwänze. Mir wird übel. Ich zerre Freddy weiter. Zügig schreiten wir voran, bis wir direkt vor uns eine relativ große Menschentraube wahrnehmen. Alle sind dunkel, fast schwarz gekleidet. Wir werden beäugt. Permanent und immer wieder aufs Neue. Ich zerre Freddy am Ärmel und flüstere: „Sag, wo sind eigentlich die ganzen Frauen, ich sehe nur Männer.“ Freddy wirft mir einen Panik unterdrückenden Blick zu. Wir marschieren weiter. Es ist heller Tag, wir stellen uns an wie zwei kleine Kinder, sehen in jedem Mann einen potentiellen Feind. Die Umgebung ist uns nicht geheuer. Wenn man sich nicht wohlfühlt, hat das Kopfkino freien lauf, erfindet seine eigenen Gruselgeschichten. Glücklicherweise finden wir aus dem Labyrinth der vielen kleinen Gassen, überqueren eine gut befahrene Straße, und finden uns auf bekanntem Boden wieder. Die Straße, die zum Basar führt, rechts und links voll mit Obst- und Gemüseständen. Uns geht es besser, wir lockern unseren uns gegenseitig umklammernden Griff. Wir kaufen Erdbeeren, werden dabei vom Verkäufer mit eindringlichen und aufreizenden Blicken überhäuft. Im Basarviertel gibt es sie wieder an jeder Ecke: die Frauen. Doch je mehr man sich in Istanbul an abgelegenere, ärmlichere oder auf den Verkauf bestimmter Dinge spezialisierte Ecken der Stadt begibt, desto mehr verschwinden sie im Hintergrund, in den Dunklen Ecken der Häuser.

Abends resümieren wir unseren Tag: Wir liefen durch den Basar, uns wurden permanent anzügliche, englische oder französische Schmeicheleien um die Ohren gehauen, wir wurden nicht in Ruhe gelassen, zum Glück nicht angefasst.
Wie werden wir hier bloß von den Männern behandelt? Wie werden abendländische Touristinnen in einem Land behandelt, in dem die Bevölkerung mehrheitlich dem Islam angehört? Wie werden die Frauen des eigenen Landes behandelt, in dem die religiöse Mehrheit der Menschen muslimisch ist?

Als erstes, will ich auf die Position des Touristen eingehen. Als Tourist ist man Gast in einem fremden Land, man ist Zuschauer, Eindringling und Voyeur. Das Reiseland unterliegt auch womöglich einer zum Heimatland differenten politischen Struktur. Es besitzt eine eigene Geschichte, eine eigene Kultur, somit auch eigene Gebräuche, Riten, Essgewohnheiten, Wertvorstellungen und auch eigene soziale Strukturen. Bevor eine Reise in ein unbekanntes Land angetreten wird, sollte man sich eingehend über mögliche im Land auffindbaren Abweichungen zur eigenen Kultur informieren, mit denen man zwangsläufig konfrontiert werden wird. Wenn man dies nicht tut, läuft man Gefahr vollkommen überrascht und vor den Kopf gestoßen zu werden, oder umgekehrt, Einheimische mit zu deren Kultur verschiedenen, unserer Kultur inhärenten Verhaltensweisen vor den Kopf zu stoßen. Reisen kann ein riesiges, erfreuliches, Horizont erweiterndes, positives Abenteuer werden, oder durchsetzt sein von diversen unerwarteten, vielleicht ungewollten Missverständnissen. Das heißt, es ist ratsam, sich im entsprechenden Land den Gepflogenheiten anzupassen, die Würde der Einheimischen nicht durch naives touristisches Verhalten zu verletzen, und gegenüber der fremden Kultur eine respektvolle Haltung einzunehmen. Klar, kein halbwegs kluger, neu- und reisegieriger Mensch würde das wohl absichtlich tun.

Da auch ich mich als würdevollen Reisenden bezeichnen würde, gehen wir davon aus, dass mein Verhalten in fremden Ländern nahezu tadellos ist. (Man darf dabei natürlich nicht vergessen, dass ich mich für meine Auffassung von tadellosem Verhalten an westlichen, im Vergleich zu manch anderen, sehr liberalen Maßstäben orientiere.... Jedenfalls handle ich nach bestem Gewissen.) Also verhalte ich mich respektvoll, verhülle meine Schultern und Beine bei den verschiedenen Moscheebesuchen Respekt zollend mit einfarbigen Tüchern, und starre den Männern auf der Straße nicht lasziv und gierig in die Augen. Ich bin nie unhöflich, verwende beim Einkaufen türkische Brocken wie "danke" ("teşekkür ederim") und "hallo" ("merhabalar") und "bitte" ("lütfen"), und bin sonst auch relativ interessiert am Erwerb neuer Erkenntnisse über die andersartige Kultur. Also erfülle ich größtenteils meine an mich selbst gestellte Anforderung, ein guter Tourist zu sein. Doch erwarte ich eine gewisse Toleranz von den Einheimischen auch mir gegenüber. Nur weil man als Tourist nicht mit der dortigen Kultur aufgewachsen ist, und sich schlimmstenfalls wenig mit ihr auseinandergesetzt hat, sollte trotzdem ein gegenseitiger Respekt herrschen. Respekt sollte immer beidseitig sein. Wechselseitig. Eine respektvolle Begegnung zwischen Vertretern zweier unterschiedlicher Kulturen.



abc
Freddy und ich kurz vor einem Moscheebesuch

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